2WEI - Survivor
"When the Cat eats the Rat"

Nathaniels Tag war mässig gelaufen. Er hatte die Aufregung um Neujahr gut genutzt, während viele Menschen im Dorf in den Pubs feierten und das Feuerwerk von Berkley Park bewunderten. Er hatte seine alten verzauberten Stiefel angezogen, die keine Fussspuren hinterliessen, nicht einmal im Schnee, hatte die magischen Handschuhe angezogen, die jedes Fenster öffneten (solange es nicht mit speziellen Abwehrzaubern versehen war) und war losgezogen. Er hatte kein Essen mehr im Haus gehabt und einen neuen Pullover brauchte er auch, seit sein eigener von einer angriffslustigen Katze zerstört worden war, als er in das Haus ihrer Besitzer einbrach.
Es lief auch alles gut, er fand in den ersten vier Häusern einen angebrochenen Laib Brot, einen Apfel mit Druckstelle, drei Kartoffeln und eine halbe Wurst, genug für den nächsten Tag. Niemand würde bemerken, dass er da gewesen war, wer vermisste schliesslich schon einen Apfel aus einer Kiste mit dreissig? Wer würde zur Polizei gehen, weil er nicht mehr wusste, wer die letzte halbe Wurst gegessen hatte, die würden ihn auslachen und sagen, dass das wohl im Suff passiert sei. Denn das war Nates Trick, der Grund warum ihm auch nach zweieinhalb Jahren niemand auf die Schliche gekommen war.
Er hätte gerne gesagt, dass er sich dafür verachtete ein Dieb zu sein, aber ganz ehrlich, es machte ihm Spass. Das Adrenalin, dass durch seine Adern floss, wenn ein Fenster ohne einen weiteren Zauberspruch aufsprang, weil er die Handschuhe mit «Alohomora» verzaubert hatte, damit sie automatisch Fenster und Türen öffneten. Die Anspannung, wenn er durch die Dunkelheit schlich, ein Schatten, der keine Spuren hinterliess, niemals wissend, ob vielleicht jemand im Haus war. Klar, er spionierte seine Zielobjekte aus, informierte sich über die Bewohner. Hatten sie einen Hund, der Probleme machen konnte? Waren Magier im Haus, die ihr Daheim mit Abwehrzaubern schützten? Denn von diesen Häusern liess Nathaniel normalerweise die Finger, begnügte sich mit den Muggelhäusern. Die Freude, wenn er etwas fand, was er mitnehmen konnte. All das genoss er in vollen Zügen, wenn er am Ende der Nacht zuhause in seiner Hütte sass und seine Schätze betrachtete.
Nate stahl nur, was bei seinen Opfern im Überfluss vorhanden war und was er selbst wirklich brauchte. Doch er brauchte viel. Sein Job als Radiomoderator warf einfach nicht genug Geld ab.
Klar, er hätte für den Magischen Rundfunk arbeiten können, den grössten magischen Radiokanal in Grossbritannien. Sie hatten ihm bereits ein Angebot gemacht und er hätte als Einstiegsgehalt mit dem dreifachen von dem, was er jetzt verdiente rechnen können. Aber das hätte ihn zu sehr eingeschränkt, dieser Radiokanal berichtete zum Beispiel überhaupt nicht vom Krieg auf dem Festland, weder von den Muggelschlachten, noch von den ermordeten Zauberern. Und das war es, was ihn davon abhielt den Radiosender Britains Broadcaster zu verlassen. Er wollte über diese Dinge berichten, er hatte genug davon zu schweigen, wenn er genau wusste, dass da draussen Menschen abgeschlachtet wurden.
Candice hatte geseufzt als er ihr davon erzählt hatte. Er wusste, dass sie nur das Beste für ihn wollte und dass sie sich oft wünschte, er würde weniger…anecken… Aber so war er nun einmal, das konnte und wollte er nicht ändern.
Aurora, seiner zweitältesten Schwester, hatte er wohlweisslich überhaupt nichts davon erzählt, mal davon abgesehen, dass sie ihn peinlich, seinen Job lächerlich und sein Dasein als Dieb erbärmlich fand, hatte sie nicht sehr viel für ihre Familie übrig.
Nate merkte, wie seine Gedanken abschweiften. Er wollte jetzt nicht über seine Arbeit für BB nachdenken.
Denn etwas war letzte Nacht schiefgelaufen. Im fünften Haus lag ein kleines Mädchen im Bett, in dem Zimmer, in das er einstieg. Und sie war wach. Sie schrie nicht, was ein grosses Glück für ihn war, aber sie hatte sein Gesicht gesehen. Er war so schnell wie möglich aus dem Haus geschlichen, aber die Angst, dass sie ihn im Dorf wiedererkennen würde war gross.
Beherrsch dich, schalt er sich selbst, du bist kaum noch im Dorf unterwegs und ausserdem wird sie dich für einen Traum gehalten haben.
Und trotzdem sass er jetzt nach der Arbeit im Tropfenden Kessel bei einem Butterbier, dem Einzigen, was er sich hier leisten konnte, und fragte sich, ob daheim schon die Polizei auf ihn wartete. Nicht die Muggelpolizei natürlich, die war ahnungslos und hätte keine Chance seine Hütte zu finden, da er sie mit mächtigen Schutzzaubern verbarg. Nein, er dachte an die magische Strafverfolgungspatrouille, die vielleicht auf ihn aufmerksam geworden war.
Unsinn, dachte er sich, die hätten dich direkt hier eingesammelt und ausserdem, was können die mir schon anhaben? In der Hütte werden sie keinen einzigen gestohlenen Gegenstand finden, das Essen hatte er bereits verspeist.
Er spürte wie sich sein Herzschlag normalisierte, wie seine Atmung ruhiger wurde.
In dem Moment ging ein eisiger Windzug durch das Pub und er blickte auf. Neben ihm kam Armando Newton, Sohn des reichsten Mannes von St. David’s und Umgebung auf die Theke zu. Er bestellte einen Whiskey, während Nate ihn immer noch anstarrte, dann drehte er sich zu ihm.
«Nathaniel Stewart», sagte er langsam, nicht unfreundlich, aber in einem Ton, der Nate ein ungutes Gefühl bereitete. Wobei, warum hatte er eigentlich Angst vor diesem Mann? Er konnte ihm nichts, die Hütte, in der Nate wohnte, gehörte dem Recht nach ihm, er hatte sie nicht von den Newtons pachten müssen, da sein Vater zu Lebzeiten Grund und Boden erworben hatte.
In Gedanken schickte Nate ein kleines Dankgebet an seinen Erzeuger. Er hatte immer noch nicht entschieden wie er zu seinem Vater stehen sollte, ihn lieben oder hassen sollte… Konzentrier dich, denk jetzt nicht daran, reiss dich zusammen, rief er sich selbst in Gedanken zur Ordnung.
«Armando Newton», antwortete er deswegen, mit der gleichen Langsamkeit und schmunzelte innerlich. Er kannte Newtons Schwäche, er hasste es, wenn sich jemand über ihn lustig machte. Und er wusste, dass Newton ihn nicht leiden konnte.
Vermutete er, dass er ein Dieb war? Vielleicht, immerhin war Nate auch ein paar Mal bei ihm in Berkley Park eingestiegen und hatte sowohl Essen als auch Bücher gestohlen, die er dann für gutes Geld weiterverkauft hatte. Wobei er zugeben musste, dass es lächerlich einfach gewesen war. Ein offenes Fenster und schon stand er in der Bibliothek. Er hatte nicht einmal die Handschuhe einsetzen müssen. Die Newtons, oder zumindest Mrs. Newton und ihr Sohn schienen es nicht für nötig zu halten, ihr Schloss mit Zaubern zu schützen. Vielleicht dachten sie, ihr Reichtum mache sie unangreifbar. Weitaus schwieriger war es jedoch gewesen, unbemerkt durch das Haus zu schleichen, mit all dem Personal, das durch die Gänge huschte. Doch er hatte es schon ein paar Mal geschafft und er musste sich selbst eingestehen, es machte ihm Spass, diesen reichen Tyrannen auf der Nase herumzutanzen.
Dass er ausgerechnet mit ihm hier sass, brachte Nate fast schon zum Lachen, er fing an zu grinsen und schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, seine Gedanken damit zur Ordnung zu bringen.
«Was ist so lustig?», fauchte Armando, der, wie es Nate erwartet hatte, sein Lachen kaum aushalten konnte.
«Och, ich hab nur gute Laune. Ist es nicht das Beste, das neue Jahr mit einem Lachen zu starten?», antwortete Nathaniel.
«Jetzt hör mir mal gut zu, Freundchen, ich weiss, dass du krumme Dinger drehst. Ich hab zwar keine Beweise, aber du kannst doch unmöglich von diesem lächerlichen Job für Britains Broadway leben! Ich behalte dich im Auge!». Mit diesen Worten leerte er sein Glas in einem Zug, Gott, das musste doch höllisch in der Kehle brennen.
«Wow, Mr. Superreich hat mich im Auge… Und es heisst Britains Broadcaster…»
«Pass auf, du denkst du kannst tun und lassen was du willst, aber die Welt gehört nicht dir!», grollte Armando. Shit, er hatte das wirklich laut gesagt…
«Ach, aber dir?», spottete er stattdessen. Oh je, warum konnte er seine spitze Zunge nicht im Zaum halten?
«Ja, und wenn du willst beweise ich es dir», sprach Armando mit einem maliziösen Lächeln und ehe sich Nate nach seinem Zauberstab umsehen konnte spürte er, wie er wie von einer grossen unsichtbaren Hand auf die Füsse gezogen und nach draussen geschleppt wurde.
Draussen biss ihn die Kälte ins Gesicht, während die unsichtbare Macht, die ihn hinausgeschoben hatte von ihm abliess. Wow, der Typ schien ja richtig schlechte Laune zu haben, was war ihm wohl über die Leber gelaufen? Er drehte sich um und sah gerade noch, wie Armando Newton seinen Zauberstab zog. In dem Moment als er seinen eigenen Zauberstab erhob, traf ihn der Flammenfluch bereits mit voller Wucht.
Wenn er eben noch nicht im Traum daran gedacht hatte, dass Armando Newton ihn wirklich angreifen würde, so hatte er jetzt nicht den Hauch eines Zweifels mehr.
Sein Zauberstab schien automatisch zu reagieren, vielleicht war es auch nur ein unausgesprochener Zauber, der den Befehl gab, ein blosser Gedanke, auf jeden Fall wurde Nate zwar gehörig heiss, aber er verbrannte sich nicht. Doch die Hitze, die auf den Zauberstab wirkte war zu viel, er hörte ein leises Knacken und sah, wie ein Riss durch seinen Zauberstab ging.
Nate war entsetzt, ein Zauberer ohne Zauberstab, was sollte er tun? Was zum Teufel sollte er jetzt machen? Er war sprachlos, etwas, was ihm noch nie passiert war. Was zur Hölle war in Newton gefahren??
«Vielleicht weisst du jetzt, wem die Welt gehört», sagte Armando mit sehr leiser Stimme. Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand mit wehendem Umhang in der Nacht.
Nate stand immer noch an Ort und Stelle wo er zurückgelassen worden war, schockstarr. Er fühlte sich nackt, verletzlich und … beschämt… Er hatte seinen Zauberstab verloren. Wie hatte das passieren können? Wovon sollte er jetzt leben, wie arbeiten, wie in anderer Leute Häuser einbrechen. Wie sollte er sich verteidigen? Und wie zum Teufel sollte er jetzt heimkommen? Apparieren konnte er so nicht, das wusste er von den Apparierstunden in Hogwarts. Oder zumindest wollte er es nicht riskieren, in zwei Stücken irgendwo zu landen.
Er stand auf und zählte die Münzen in seiner Tasche. Das musste reichen. Er streckte seine linke Hand mit dem zerbrochenen Stab aus und betete stumm, dass es funktionierte, als ein violetter Bus mit einem lauten Knall aus dem Nichts erschien.
1. Januar 1940
Montag
Dänemark: In der Neujahrsansprache an die Nation hegen der dänische Ministerpräsident und sein Außenminister ernsthafte Zweifel am weiteren Bestand der dänischen Souveränität im Jahr 1940.