Pegasus - Get over you
"Get over you"

Für Timotheo hatte es wie ein stinknormaler Morgen angefangen. Er war früh aufgewacht, weil ihn die schwache Januarsonne durch das schmutzige Fenster an der Nase gekitzelt hatte. Dann war er aus seinem kuscheligen Bett aufgestanden, barfuss über den staubigen Boden geschlurft und hatte sich in der kleinen gemütlichen Küche eine Tasse Earl Grey gekocht, obwohl er Schwarztee hasste. Aber irgendetwas Heisses zu Trinken brauchte er, um am Morgen wach zu werden.
Anschliessend war er unter die Dusche gestiegen um sich mit dem Wasser, das er davor magisch aufgewärmt hatte, zu waschen. Er liebte seine Dusche, eines der wenigen Luxusgüter, mit dem sein Cottage ausgestattet war. Kaum zu glauben, dass seine Eltern noch keine Dusche in ihrem Haus hatten, aber da waren sie altmodisch. Auch seine Schwester sagte das, sogar in ihrem Trainingsgebäude hatten sie bereits diese tolle Erfindung. Seine Schwester war eine erfolgreiche Quidditchspielerin, wie er jedem stolz erzählte, ob er oder sie es hören wollte oder nicht.
Während das warme Wasser seinen Rücken herunterrann, dachte er über seine Arbeit nach. Sein Chef machte im Moment viel Druck im Büro. Da war dieser Spion, den sie seit Tagen observierten. Theo fühlte eine leichte Unruhe bei dem Gedanken an ihn. Er hätte sich nicht als ausländerfeindlich bezeichnet, aber er traute denen einfach nicht über den Weg. Schon gar nicht den Deutschen. Er hielt sie für weniger vertrauenswürdig und konnte sich nicht vorstellen mit einem von ihnen befreundet zu sein. Sein Vater war der gleichen Meinung, die waren einfach anders als die Briten. Theo hatte noch nie einen Ausländer kennen gelernt, wie sollte er also jemanden verstehen, der so unterschiedliche Vorstellungen von Moral hatte.
Als das Wasser langsam kalt wurde und die Zeit voranschritt, verliess Timotheo mit einem tiefen Seufzen die gusseiserne Wanne, in der er sich abgeduscht hatte, mümmelte sich in ein kratziges Tuch und zog seine übliche Büro-Kleidung an, einen schwarzen Umhang.
Er nahm die Eule mit dem Tagespropheten in Empfang, setzte sich hin, wärmte den mittlerweile nur noch lauwarmen Tee wie jeden Morgen nochmal mit seinem Zauberstab auf und vertiefte sich, wie jeden Morgen, in seine Lektüre.
Zaubereiministerium nimmt deutschen Zauberer Walter K. fest
Das Zaubereiministerium hat in der Nacht auf Donnerstag, 4. Januar, einen Zauberer aus Deutschland festgenommen. Herr K. werde der Spionage und des Verrates bezichtigt.
«Wir können Sie im Moment nur wissen lassen, dass wir selber noch nichts Genaues wissen, also lassen sie uns in Ruhe unsere Arbeit machen und machen Sie ihre!» liess ein anonym bleibender Mitarbeiter der magischen Strafverfolgung am frühen Donnerstagmorgen Pressevertreter wissen. Eine weitere Stellungnahme des Ministeriums blieb bis jetzt aus.
Theo rümpfte die Nase. Das war mal wieder typisch für den Propheten, immer die Nase in die Angelegenheiten hart arbeitender Leute zu stecken.
Eine halbe Stunde und eine Scheibe trockenem, leicht angekokelten Toast mit kleinen Würstchen später fühlte er sich bereit, den Tag in Angriff zu nehmen.
Theo stand langsam auf, gab noch rasch seinen Kauz und sein Frettchen frisches Wasser, öffnete ein Fenster, damit sie zum Jagen raus konnten überprüfte, ob das Feuer unter seinem Kessel auch wirklich gründlich gelöscht war und verliess dann das Haus. Sein Zuhause mochte von aussen betrachtet eine Ruine sein, doch er hatte nicht vor es durch ein vergessenes Feuer wirklich in einen Steinhaufen zu verwandeln.
Nachdem er sich hundert Schritte über ein regennasses Feld von der Steinhütte entfernt hatte, konnte er sicher sein, die magischen Schutzzauber hinter sich gelassen zu haben, und er apparierte in Richtung Swansea. Theo liebte dieses Gefühl, als ob sich eine unsichtbare Hand um ihn klammern und ihn davonreissen würde. Dieses Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und gleichzeitig genau zu kontrollieren, wohin es ging. Viele, die er kannte, hassten das Apparieren oder hatten Angst davor, zersplintert zu werden, aber Timotheo hatte Schmerzen noch nie gefürchtet. Er war nun definitiv nicht der Mutigste, war es noch nie gewesen. Aber körperliche Pein hatte ihm noch nie Gänsehaut bereitet. Mit der Seelischen dagegen sah es etwas anders aus.
In Swansea angekommen schaute er sich kurz um, ob auch wirklich niemand in der Nähe war. Theo stand in einer düsteren Gasse, aus der die mittlerweile höherstehende Morgensonne den Nebel noch nicht ganz vertrieben hatte. Als er sicher war, dass er alleine war, konzentrierte er sich und drehte sich auf der Stelle. Auf diese Weise apparierte er nach Cardiff. Dann weiter nach Bristol. Swindon. Reading. Und schliesslich London. Es war seine typische Morgenroute. In jeder der Städte kannte er eine dunkle Gasse, eine Strasse in die sich niemand verlief. Ein einsames Feld. Es war nicht schwer nach London zu kommen, nur etwas umständlich. Doch auch wenn er sich nicht vor Unfällen beim Apparieren fürchtete, wäre er nie auf die Idee gekommen, direkt so weit zu apparieren. Er liebte das Risiko, nicht aber die Unvernunft.
Kaum war er Zaubereiministerium machte er sich auf direkten Weg in sein Büro. Hier und da grüsste er andere Beamte, viele kannten und schätzten ihn. Der Name Knight sagte etwas im Ministerium. Auch Timotheos Vater war Ministeriumsbeamter, er arbeitete mit magischen Tierwesen. Timotheo hatte immer bewundert, wenn er sah, wie andere Menschen zu seinem Vater aufblickten, denn dieser hatte sich definitiv eine Position in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Tierwesen erarbeitet. Theo war sehr stolz auf seinen Vater. Er war ein wortkarger Mann, aber wenn er etwas sagte, hatte es Gewicht, er sprach nie unüberlegt oder aus einer spontanen Laune heraus. Jedes Wort, das aus seinem Mund kam, schien seit Ewigkeiten vorgeplant, angedacht für genau diesen Zeitpunkt.
Kaum war Timotheo im Grossraumbüro der Auroren angekommen, schlenderte er auch schon zum Teekessel, um sich mit weiterem Tee zu versorgen bevor er sich an den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch machen würde. Während er darauf wartete, dass das Wasser kochte, trocknete er seinen nebelfeuchten Umhang mit einem leichten Schwung seines Zauberstabs.
«Guten Morgen Mr. Knight», sagte eine schüchterne Frauenstimme hinter ihm. Es war Rosalie Sinclair, eine der Sekretärinnen im Aurorenbüro. Sie war ein nettes Ding mit grossen Augen und von sehr weiblicher Statur. Und sie war unglaublich unsicher, stolperte fast über ihre eigenen Worte und traute sich oft kaum den Mund aufzumachen. Und trotzdem brachte Theo kein Wort heraus, um ihr höflich zu antworten. Es ging noch nicht einmal darum, einen lässigen Spruch zu machen, aber schon alleine die Vorstellung ihr einen angenehmen Morgen zu wünschen überforderte ihn absolut. Dabei war er gar nicht in sie verliebt. Es war nur…. sie war eine Frau.
Sie ist so hübsch. Wie ein Engel steht sie da. Es ist Sonntag und sie trägt ein weisses Kleid. Wie die Sonne hinter ihr scheint und ihr Haar glänzen lässt, sieht es aus, als wäre sie der Stern der strahlt und nicht irgendein ferner Planet.
Sie lacht, glockenhell mit kindlicher Unschuld. Dann fängt sie an sich zu drehen, schneller und schneller, als würde sie abheben wollen, davonfliegen, fort von ihm. Sie ist ungreifbar, unendlich weit fern.
Er wünscht sich mit ihr spielen zu können, ihr Haar anzufassen um zu sehen ob es so fluffig ist wie es aussieht, wie die Federn eines Vogels. Aber er traut sich nicht. Sie ist beliebt. Er ist nicht unbeliebt, die anderen Kinder ärgern ihn nicht. Aber ihm passieren immer so doofe Sachen. Letzte Woche, als er mit Ben und seinen Freunden Fussball spielen wollte, hat er es geschafft, dass der Ball explodierte, nur weil er ihn in die Hand nahm.
Ein paar Wochen davor hatte er ihr Blumen schenken wollen. Aber sein Strauss hatte so mickrig ausgesehen, nicht so schön wie die Blumen, die Daddy Mummy immer mitbrachte. Also hatte er sich angestrengt und ganz dolle gewünscht, dass sie wachsen würden. Er wusste, dass er das konnte. Er musste sich ganz fest konzentrieren und dann würde passieren, was er wollte. Also schloss er die Augen und wünschte es sich. Als er sie wieder öffnete, wuchsen die Blumen, doch einen Moment später zerplatzten sie zu Seifenblasen.
Nein, nein, nein, er hatte Ewigkeiten nicht an sie gedacht und er würde jetzt nicht wieder damit anfangen! Er hatte es sich geschworen. Hatte geschworen, dass er sie gehen lassen würde, damit sie glücklich sein und er seine arme Seele schonen könnte.
Er blickte auf seine abgetragenen Captoe Oxfords, konzentrierte sich und sagte mit steifer Stimme «Guten Morgen, Rose.»
Puh, geschafft, er hatte es geschafft. Als wieder aufblickte bemerkte er zu spät, dass Rosalie bereits weitergegangen war und sich nun verwirrt zu ihm umdrehte.
«Hei Theo», rief ihn eine wohlvertraute tiefe Stimme. Es war Kedar, sein Partner. Sie kannten sich schon aus Hogwarts und auch wenn Kedar McMorgan in Gryffindor und er in Ravenclaw gewesen war, so hatte sich doch eine tiefe Freundschaft gebildet, die auch nach ihrer Schulzeit während der Aurorenausbildung bestehen geblieben war.
«Wo hast du gesteckt, hier war die Hölle los!» rief sein Kollege aufgebracht. «Meine Eule muss dich wohl gerade verpasst haben, denn ich hab dir Orion sofort gesendet, als ich gesehen hab was hier los ist!» antwortete Kedar. «Sie haben diesen Deutschen festgenommen, der versucht hat, sich ins Ministerium zu schleichen. Er hat sich als Besucher ausgegeben und hat, wahrscheinlich mit einem Verwirrungszauber, die Telefonkabine am Besuchereingang getäuscht. Ich wusste schon immer, dass dieser neue Besuchereingang eine Schnapsidee ist. Danach ist er auf direktem Weg ins Untergeschoss in die Mysteriumsabteilung. Cariston hat ihn dort gefunden, wie er versucht hat, die Tür zu öffnen. Hat sich ein schönes Duell geliefert, der Gute, aber der Lärm hat andere Mysteriums-Beamte hinzugerufen und sie konnten ihn niederschlagen. Das muss der erste Einbruch ins Ministerium seit mindestens dreizehn Jahren sein! Sie verhören ihn gerade, kommst du mit und schaust zu?»
Timotheo war baff, so hatte er sich seinen ganz normalen Donnerstagmorgen nicht vorgestellt. Er blickte noch einmal Rosalie hinterher, dann drehte er sich um und sagte: «Dann lass uns besser gleich mit der Arbeit beginnen.»
Kedar hatte seinen Blick bemerkt und machte einen nachdenkliches Gesicht. «Weisst du, mein Freund, ich hab manchmal das Gefühl, dass kein Kampf dir so viel Angst macht, wie der Kampf um das Herz einer Frau.» Und während die beiden über den knarzigen Parkettboden in Richtung Verhörraum gingen, dachte sich Theo, dass Kedar damit sogar recht haben könnte.
4. Januar 1940
Donnerstag
Polen: Die polnische Exil-Armee in Frankreich wird auf Kosten Frankreichs mit französischer Ausrüstung bewaffnet und unterhalten.