American Young - Soldier's Wife
"Soldier's Wife"

Unruhig wälzte sie sich im Bett herum. Dann erwachte sie schwerfällig. Sie hatte ihn gespürt, eben war er doch noch da gewesen. Suchend tastete Amelia nach links, fuhr mit der Hand unter die dicken Daunendecken und wurde doch enttäuscht. Er war nicht da. Sie hatte geträumt, dass ihr Ehemann, ihr Partner, ihr Hafen und ihr Beschützer wieder daheim war. Dass sie im Bett kuschelten. Sie hatte die Wärme gespürt, als er sie mit diesem unverwechselbaren Lächeln angeschaut hatte. Doch es war nur ein bittersüsser Traum gewesen. Und sie war allein.
Verschlafen drehte sich Amelia auf die Seite. Es war früh am Morgen, sie hatte zwar keine Uhr im Zimmer, aber das Sonnenlicht hatte seinen Weg noch nicht durch ihr Fenster gefunden und das, obwohl ihr Schafzimmer auf der Ostseite des Hauses lag.
Müde rieb sich Amelia die Augen. Sie fühlte sich so einsam, so traurig und so … ausgelaugt. Trotzdem zwang sie sich aufzustehen, schob erst den rechten Fuss langsam unter der Wärme der Decke hervor, stellte ihn vorsichtig auf dem eisigen Holzfussboden ab, dann folgte der linke. Sie wäre am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben und hätte geschlafen, vergessen, aufgehört zu existieren.
Aber das war keine Option, sie hatte eine Verantwortung zu erfüllen.
«Komm schon altes Mädchen, so schlimm wird der Tag schon nicht werden», sagte sie zu sich selbst. Ausserdem, was hätte denn Isaac dazu gesagt. Er wäre bestimmt erst enttäuscht gewesen, dann hätte er sie sanft in den Arm genommen, so wie er es immer tat, hätte sie leicht auf die Stirn geküsst und gesagt: «Ist schon gut mein Schatz, wir schaffen das gemeinsam.» Er war immer so verständnisvoll, gleichzeitig fühlte sie sich von ihm respektiert wie von keinem anderen Menschen den sie kannte. Und jetzt war er weg. Und nur Gott wusste, ob er je heil zurückkehren würde.
Im Nachbarzimmer konnte sie ein leises Wimmern vernehmen, Charlie war wohl wach. Endgültig wach stand Amelia auf und konnte sich ein leises Ächzen nicht verkneifen. Besonders an diesen kalten Wintermorgenden machte ihr ihr Rücken schwer zu schaffen. Sie war bereits bei zwei Heilern gewesen und hatte es inzwischen aufgegeben, dass die Rückenschmerzen, die sie seit der Schwangerschaft mit ihrem kleinen Sohn plagten, jemals vollständig weggehen würden.
Im Nebenzimmer sass ihr Kleiner in seinem Kinderbett. Isaac hatte es selbst gebaut und dabei mit seinem Zauberstab Verzierungen in das Kopfende eingearbeitet, die eine Unterwasserwelt darstellten und sich langsam bewegten. Er war immer so talentiert und kreativ! Amelia spürte, wie sie wieder in Wehmut versank und schüttelte widerwillig den Kopf, sodass ihre ungekämmten Haare wild um ihr Gesicht flogen.
Mit einem gequälten Laut machte Charlie seine Mutter auf sich aufmerksam. Schnell setzte sie sich auf sein Bett und streichelte sanft über sein blondes Haar. Er fühlte sich warm an. Besorgt betrachtete Amelia ihren Sohn genauer. Seine Augen waren wässrig, seine Wangen gerötet und ein paar Strähnen seines goldenen Haars klebten ihm feucht auf der Stirn. Er hatte Fieber. Nun, es war nicht das erste Mal das Charlie krank war und Amelia war nach vier Jahren Muttersein erfahren genug, um wegen einem leichten Fieber nicht sofort in Panik auszubrechen. Aber das war das erste Mal, dass ihr Kind krank war, während ihr Mann nicht da war, um sie zu unterstützen.
Um sich selbst und ihrem Schatz Zuversicht zu verschaffen lächelte sie ihm zu. «Guten Morgen mein Liebling. Magst du mit Mummy frühstücken?». Charlie nickte schläfrig und streckte seine kurzen Arme aus, damit sie ihn hochnehmen konnte. Natürlich konnte er schon seit drei Jahren laufen und ihrem Rücken tat es auch nicht gerade gut, aber manchmal nahm sie ihn trotzdem noch hoch. Isaac sagte immer, sie sollte das nicht machen, es würde ihn unselbstständig werden lassen, aber er lachte jedes Mal, wenn er das sagte und sie lächelte immer errötend zurück.
In der Küche angekommen setzte Amelia Charlie auf seinen Stuhl und fing an, im Küchenschrank zu kramen. Brot von gestern, ein Stück Käse, ein Glas Konfitüre, zwei Äpfel. Das würde wohl reichen. Eier hatte Amelia keine zur Verfügung, denn sie besass keine Hühner. Ob sie wohl eine kleine Schar kaufen sollte? Es würde sie selbstständiger werden lassen und sie müsste nicht jedes Mal im Dorf einkaufen, wenn sie ihrem Sohn ein Spiegelei machen wollte. Aber der Gedanke an das Aussuchen von Hühnern, das Bauen eines Hühnerstalls und das Drama, wenn ein Fuchs oder Marder eines der Tiere holte, schreckte sie sofort wieder ab. Ausserdem stellte sie sich die Reaktion ihrer Eltern vor: «Bäuerin willst du jetzt sein, was?»
Als der Tisch gedeckt war, entzündete Amelia mit einem Schwung ihres Zauberstabes das Feuer unter dem Kessel. Sie wollte nicht nur einen Tee für sich und Charlie kochen, sondern auch heisse Wickel für ihren Sohn machen. Wickel, Zwiebelumschläge, verschiedene Tees und Tinkturen, warmer Apfelbrei, Amelia kannte verschiedene Naturheilmittel. Vor allem zu Beginn der Zeit zu dritt hatte ihr eine Hebamme viel geholfen und ihr verschiedene Ratschläge gegeben, denn es war Amelias erstes Kind gewesen und sie hatte keine ältere Schwester, die sie fragen konnte. Und die Beziehung zu ihren Eltern war, nun ja, schwierig…
Begleitet vom sanften Brodeln des köchelnden Wassers schnitt sie eine Scheibe Brot ab und bestrich sie sorgfältig mit Kirschkonfitüre aus dem eigenen Garten. Sie schnitt das Brot in kleine Häppchen und präsentierte sie ihrem Sohn auf einem der weissen Teller mit dem blauen Blumenrand, die sie von ihrer Schwester zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten.
«Schau mal, Charlie. Hier kommt ein Vögelchen geflogen» und von piepsenden Lauten begleitet liess sie ein Stück Brot in seine Richtung schweben. Doch anders als sonst patschte er nicht mit einem glucksenden Lachen nach dem Brot, sondern hob nur unwillig die Hand, griff nach dem Stückchen und knabberte kurz daran, bevor er es mit einem Wimmern von sich warf.
Innerlich schalt sich Amelia selbst! Sie war doch ein dummes Ding. Natürlich musste er Halsschmerzen haben. Ein warmer Haferbrei wäre viel angemessener.
«Es tut mir leid, mein Schatz, Mummy macht dir sofort ein Breichen!»
Missmutig winselte Charlie ein wenig vor sich hin, er war bestimmt hungrig! Der Laut löste einen Stich in ihrem Herzen aus, weswegen sie mit einem Schwung ihres Zauberstabs das Radio, das im Küchenregal stand, anschaltete. Ab und zu lief Daphne Cannary morgens an Wochentagen und Charlie liebte die süsslichen Melodien. Normalerweise tanzte er dann mit seinen tollpatschigen Beinchen durch den Raum, ganz verzaubert von der Jazzmusik. Doch als Frequenzregler in der gewünschten Position verharrten, ertönte nicht Daphnes rauchiger Sopran, sondern die Stimme eines jungen Mannes.
«…zu Nathaniel Stewart in London.» - «Vielen Dank, Ridge, ich stehe hier im Zaubereiministerium in der Abteilung für magische Strafverfolgung und habe die Ehre, brandheisse Informationen zum Spionageskandal im Ministerium direkt von der Quelle zu erfahren. Miss Sinclair, was können Sie uns zu dem festgenommenen Deutschen sagen?»
Gerade wollte sie das Gerät wieder abschalten, verharrte jedoch in der Bewegung. Was, wenn es Neuigkeiten von der Front gab? Der letzte Brief Isaacs lag schon drei Tage zurück! Zugleich fürchtete sie jedoch auch, etwas von ihm zu hören.
Wage hörte sie im Hintergrund, wie eine Frauenstimme im Radio sprach.
«Miss Sinclair, mein Name ist Tuppence St. Claire von Buzzing Whisper Radio. Wie konnte Walter K. unbemerkt ins Zaubereiministerium, ja sogar in die am besten beschützte Abteilung gelangen?»
Eine schüchterne Mädchenstimme antwortete zögerlich: «Also, ich weiss nicht… Ich mach hier eigentlich nur den…», doch sie wurde von der Männerstimme, die wohl diesem Stewart gehörte, unterbrochen. «Sehr interessant, sehr interessant! Er muss also auf bislang unbekannten Weg hineingelangt sein! Hat das Ministerium etwa eine Sicherheitslücke?»
«Nein, nein, also, ich glaube nicht?» stammelte die jüngere Stimme.
Der Mann antwortete mit scharfer Stimme: «Ich sehe, das Ministerium ist sich wie immer keiner Verantwortung bewusst! Doch wie soll er sonst in einen so sensiblen Bereich hineingelangt sein?! Denken Sie etwa, dass es Spitzel im Ministerium gibt, ja sogar in unseren eigenen Reihen, Miss Sinclair?
Die Frau, die sich als Miss St. Claire, oder doch Sinclair, vorgestellt hatte, fiel ein: «Ich habe ja gehört, dass die Deutschen in der Magischen Reichskanzlei in ihren geheimen Laboren an neuartigen Methoden arbeiten, die unsere Sicherheitsvorkehrungen umgehen könnten. Ich bin sicher, das Zaubereiministerium arbeitet dagegen, oder etwa nicht? War es vielleicht das, was der Spion gesucht hat?»
«Also, da fragen Sie am besten…» versuchte das Mädchen zu antworten, doch sofort fiel ihr der Mann ins Wort: «Sie haben natürlich voll und ganz Recht, es ist viel zu früh um solche Vermutungen anzustellen! Und trotzdem würde unsere Zuhörer brennend interessieren, ob es vielleicht noch weitere Spione in unserem Land gibt?»
«Meinen Informationen nach hat die Deutsche Reichskanzlei eine ganze Reihe Agenten in die ganze magische Welt losgeschickt, um unsere Reihen zu infil…»
«Jetzt halten Sie aber mal Ihren Mund, Miss St.Claire!» unterbrach sie der Mann namens Stewart erzürnt.
«Ich habe doch gar nichts… Aber wenn das so ist, dann gehe ich jetzt vielleicht besser?» meinte das Mädchen unsicher.
«Nein!!» riefen die beiden Reporter unisono. Der Mann, Nathaniel Stewart, sagte hastig: «Ich meinte doch nicht Sie, Miss Sinclair, ich meinte Miss –», doch die weibliche Reporterin unterbrach ihn. «Ich lass mir von Ihnen nicht den Mund verbieten! Also, eine letzte Frage …», doch Amelia hatte genug gehört. Hier würde sie sicher keine Informationen über ihren Mann bekommen, und auch Musik schien erstmal nicht zu laufen.
«Mummy, ich will einen Schneemann bauen.» ertönte in diesem Moment die ungeduldige Stimme von Charlie.
Aus ihren Gedanken gerissen überlegte einen Moment. Natürlich war es eigentlich nicht ratsam, Charlie bei der Kälte nach draussen zu lassen, wenn er krank war. Andererseits könnte sie einen Spaziergang mit ihm machen und gleichzeitig versuchen, ein paar Heilkräuter zu finden. Im Schnee würde sie garantiert nichts Nützliches entdecken, aber vielleicht verkaufte ihr die Dorfapotheke etwas Passendes. Und sie konnte Charlie schliesslich unmöglich alleine daheimlassen. Kurz überlegte sie, ihren Eltern eine Eule zu schicken, aber sie liess ihren Sohn nur sehr widerwillig und so selten wie möglich bei ihnen, da sie wusste, dass sie einen anderen Erziehungsstil hatten, als sie gutgeheissen hätte.
Mit warmer Stimme antwortete sie deshalb ihrem Kleinen: «Also gut, mein Schatz, dann packen wir dich nach dem Frühstück warm ein und machen einen Spaziergang und unterwegs bauen wir einen Schneemann!»
Und vielleicht, so dachte Amelia, als sie den Haferbrei vom Herd nahm und begann, sich selbst eine Scheibe Brot zu richten, vielleicht wäre es ja auch für sie selbst gar nicht so schlecht, heute noch vor die Tür zu gehen. Einen Schritt nach dem anderen, Tag für Tag. Bis Isaac wieder da war.
Charles Thompson
Rosalie Sinclair
5. Januar 1940
Freitag
Russland wirft Norwegen und Schweden vor, eine ‚anti-neutrale‘ Politik zu betreiben. Dies wird von Norwegen am 6. und von Schweden am 10. Januar zurückgewiesen.